TIC TAC TOE: HÖHENFLUG UND FALL DES ERFOLGREICHSTEN DEUTSCHEN GIRLIERAPTRIOS

Tic Tac Toe: Höhenflug und Fall des erfolgreichsten deutschen Girlie-Raptrios
 
Bereits mit ihrer ersten Singleauskoppelung »Ich find» dich scheiße« gelang der 1995 gegründeten deutschen »Girlie«-Rapformation Tic Tac Toe alias Lee, Jazzy und Ricky auf Anhieb der große Durchbruch. Der Titel dieses Stücks verwies programmatisch auf das Konzept, auf dem die Songtexte, aber auch das Image der Band aufbauten: Frechheit, Provokation und eine Sprache, die »frei nach Schnauze» aus dem Bauch heraus kam. Nicht zuletzt ihre Zielgruppe, junge Mädchen im Teenager-Alter, bescherte ihnen als Dank zahlreiche Höchstplatzierungen in den Hitparaden und ließ die Verkaufszahlen der ersten CD »Tic Tac Toe« fast bis an die Millionengrenze rücken. Dem kometenhaften Aufstieg folgte jedoch schon bald die Ernüchterung, als das Showbusiness sich von seiner brutalen Seite zeigte. Nach Erscheinen der zweiten CD »Klappe die 2te« im April 1997 sah sich die Band mit zahlreichen Enthüllungsstorys in den Medien konfrontiert, eine abgebrochene Tournee und krankheitsbedingte Abwesenheit markierten den Anfang vom Ende. Im November 1997 wurde eine Pressekonferenz einberufen, um Trennungsgerüchte zu zerstreuen und Einigkeit zu demonstrieren, doch nachdem sich Ricky mit Jazzy und Lee vor den Augen der anwesenden Journalisten lauthals stritt, zeichnete sich der Schlussstrich unter dem Kapitel Tic Tac Toe deutlich ab. Das Aus der Band wurde offiziell, als sich Jazzy und Lee unter dem Namen Tic Tac Two in der Öffentlichkeit präsentierten und Ricky ihre Solopläne verkündete. Der Erfolg, den die drei Mädchen als Trio verbuchen konnten, stellte sich bis dato allerdings weder auf der einen noch auf der anderen Seite ein.
 
 1996 — das uneingeschränkte Erfolgsjahr
 
Ein Hip-Hop-Festival im Ruhrpott setzte 1995 den Startschuss der Karriere von Liane »Lee« Wiegelmann (* Springer, 29. Juli 1974), Marlene »Jazzy« Victoria Tackenberg (* 4. August 1975) und Ricarda »Ricky« Wältgen, als ihre spätere Managerin Claudia Wohlfromm die drei auf der Bühne sah und unter ihre Fittiche nahm. Tic Tac Toe war gegründet und die ersten Studioaufnahmen folgten unverzüglich. Mit dem Komponisten, Texter und Produzenten Torsten Börger entstanden die Songs, die schließlich im April 1996 auf dem Debütalbum »Tic Tac Toe« erschienen. Die erste Singleauskopplung, »Ich find» dich scheiße«, bewegte sich gleich nach Erscheinen in den Charts nach oben, und bei Presse und Fans wurde die Gruppe als Vorreiter deutscher Girlie-Bands gefeiert. So beherzigte man auch bei der zweiten und dritten Auskopplung, »Leck mich am A, B, Zeh« und »Verpiss dich«, das Prinzip, das Tic Tac Toe als Band auswies und das bei den Fans ankam: tanzbare, flotte Melodien und Rhythmen, Sprechgesang, sowie provozierende Texte, die ihr Vokabular aus der Jugendsprache bezogen und sich auf die Tugenden der Girlie-Bewegung beriefen: Selbstbewusstsein, Eigenständigkeit, eine freche Attitüde und eine Absage an Macho-Männer, gleichzeitig aber auch anteilig der Raptradition Tribut zollten, indem kein Halt vor immer wiederkehrenden Vulgarismen gemacht wurde. Was das optische und charakterliche Erscheinungsbild der Mädchen anging, so wurden drei mehr oder minder unterschiedliche Typen repräsentiert: Lee, laut und willensstark mit strahlend blauen Augen und — über längere Zeit gefärbten blonden — langen Haaren, Jazzy, burschikos und frech mit pfiffigem Kurzhaarschnitt, und schließlich Ricky, ruhig, verträumt und fast schüchtern mit femininem Einschlag. Diese Kombination zeigte im Einklang mit der Musik ihre erfolgreiche Wirkung: Das Album verkaufte sich bis Mitte April des Folgejahres ca. 900 000-mal.
 
 Zuckerbrot und Peitsche
 
1997 brachte für Tic Tac Toe die Schattenseiten des Showgeschäfts zutage, ein Skandal wurde vom nächsten abgelöst. Den Anfang machte die Aufdeckung der Tatsache, dass das Alter der drei Mädchen marketinggerecht verjüngt worden und so auf die Zielgruppe zurechtgeschnitten war. Durch den Selbstmord ihres — bis dahin verheimlichten — Ehemanns geriet im Anschluss Lee ins Kreuzfeuer der Medien, weiterhin wurde darüber berichtet, dass Lee im Alter von sechzehn Jahren kurzzeitig in einem Bordell gearbeitet habe, um sich Drogen zu finanzieren. Das Image der Band war stark angekratzt und so meldete sich schließlich eine gleichnamige Werbeagentur »Tic Tac Toe Medienservice GmbH«, die den Namen bereits hatte schützen lassen und nun um ihren Ruf fürchtete. Man einigte sich in dieser Angelegenheit auf einen Vergleich und nahm in Interviews offensiv Stellung zu allen weiteren Vorfällen und Anschuldigungen. Die Taktik erwies sich als wirksam, die Fans hielten der Gruppe die Treue, ihr Beliebtheitsgrad schien ungebrochen. Mit der Veröffentlichung der zweiten CD, »Klappe die 2te«, im April 1997 wurde die anhaltende Popularität umso deutlicher. Die erste Singleauskopplung »Warum?« stürmte innerhalb von zwei Wochen nach Erscheinungstermin auf Platz eins der deutschen Charts. Das Thema des Stücks behandelte die Drogensucht einer ehemaligen Freundin Lees, es wurden erstmalig ernstere Töne angeschlagen. Es folgte eine ausgedehnte Tournee unter dem Titel »Frei nach Schnauze« durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Darüber hinaus trug der Erfolg von Tic Tac Toe auch in den Medien Früchte. Mitte August erhielt die Band den »Comet« als »bester Act national« des Musiksenders VIVA. Weiterhin wurden die Mädchen mit der »Goldenen Europa«, dem Showpreis des ARD-Fernsehens, für die Verkaufserfolge der letzten zwölf Monate ausgezeichnet. Mit diesen neuerlichen positiven Ereignissen schien die Krise, die die Gruppe im Frühjahr durchgeschüttelt hatte, überwunden, doch schon im Herbst tauchten neue Probleme auf. Der Stress durch den Medienrummel und die Tournee hatte allen dreien zugesetzt, und so mussten mehrere Auftritte, bisweilen ganze Tourabschnitte ausfallen. Man ließ die Presse wissen, alle Mitglieder der Band seien krank und erschöpft. Eine weitere geplante Tournee wurde kurzfristig abgesagt. Daraufhin verklagte der Tourneeveranstalter »Mama Concerts« Tic Tac Toe auf Schadensersatz in Höhe von 1,6 Millionen Mark.
 
 Trennung und neue Wege
 
Trennungsgerüchte wurden laut, aber die Mädchen versicherten ihren Fans in Interviews, dass alles in Ordnung sei und man nicht plane, die Gruppe aufzulösen. Trotz der vielfachen Dementis platzte die Bombe im November 1997: Jazzy und Lee verkündeten Rickys Ausstieg aus der Band und nannten gesundheitliche Probleme ihrer Kollegin als Anlass. Ricky wiederum antwortete in einer Pressemitteilung, es gehe ihr gut und sie habe nicht vor auszusteigen. Um der Verwirrung in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken, einigte man sich auf ein Treffen bei einer Pressekonferenz, bei der auch Einigkeit innerhalb der Band demonstriert werden sollte. Jedoch geriet der Auftritt vor den Journalisten vor laufenden Kameras zum Desaster. Zwischen Ricky und den beiden anderen Tic-Tac-Toe-Mitgliedern entbrannte ein Streit, der in gegenseitigen Beschimpfungen und schließlich Tränen gipfelte. Was die Vertreter der Medien anfangs noch für einen gut inszenierten Publicity-Streich hielten, erwies sich tatsächlich als Ende der gemeinsamen Bandgeschichte.
 
Als Lee und Jazzy im Dezember bei der TV-Show »Stars in der Manege« unter dem Titel »Lee und Jazzy von Tic Tac Toe« auftraten und ankündigten, ohne Ricky Anfang 1998 ins Studio zu gehen und ihre nächste Platte als »Tic Tac Two« herauszubringen, war es offiziell. Auch Ricky ließ Solopläne in der Öffentlichkeit verlauten. Ein letzter Auftritt der — nunmehr getrennten — Band, fand bei der Verleihung der »Echo«-Musikpreise im März 1998 statt. Die beiden Preise, ein »Echo« für die erfolgreichste nationale Band und einer für die Bestseller-Single »Warum?«, wurden gemeinsam entgegengenommen. Lee und Jazzy nutzten den Anlass überdies, um ihre neue Single »Der Kommissar«, eine Coverversion des Erfolgshits von Falco, zu präsentieren. Die Wiederaufnahme ihrer Karriere nach der Trennung kam bei beiden Parteien nur langsam und auf Umwegen in Gang.
 
Ricky posierte für die Mai-Ausgabe des »Playboy«, Lee und Jazzy zeigten sich in der Öffentlichkeit bei Benefizprojekten, und sowohl die eine wie auch die andere Seite berichtete auf Nachfragen seitens der Journalisten zu musikalischen Neuerscheinungen von langanhaltender Arbeit im Studio. Schließlich tauchten Lee und Jazzy mit Gastsängerin Sara wieder auf und veröffentlichten eine Single als Sara@TicTacTwo mit dem Titel »Nie wieder«. Das Stück erschien 1999 auf dem Debütalbum von Sara, »Spiesserparadies«.
 
Ricky versuchte sich als Schauspielerin mit Gastauftritten in der ARD-Soap »Marienhof« — in diesem Zuge entstand auch ein gemeinsames Stück mit ihrer Serienpartnerin Laura: »Er ist nicht der Richtige« — und veröffentlichte ihre erste Solo-Single »Schmerz in mir«. Tic Tac Two wie auch Ricky versuchten bei der musikalischen Umsetzung ihrer Stücke ihrer alten Richtlinie treu zu bleiben, doch der große Erfolg, den das Trio vor der Trennung erzielte — immerhin erreichten beide Tic-Tac-Toe-Alben bis heute einen Verkauf von über drei Millionen Platten — stellte sich für die Mädchen vorerst nicht ein.
 
 Diskographie
 
Tic Tac Toe (1996)
 
Klappe die 2te (1997)
 
Literatur:
 
Henning Behrens: Tic Tac Toe. München 21997.
 Adrian Brüder: Tic Tac Toe. Drei starke Girls erobern die Charts. München 1997.
 Julia Edenhofer: Tic Tac Toe. Kleine Träume werden groß. Die ultimative Biographie der Ruhrpottniggaz. München 1997.
 Hans S. Mundi: Tic Tac Toe. Die Erfolgsstory von Lee, Ricky und Jazzy. Düsseldorf 21997.

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