FANTASY UND SCIENCEFICTIONLITERATUR

Fantasy- und Sciencefictionliteratur
 
Fantasy und Sciencefiction sind Subgenres der literarischen Fantastik und gerade in den vergangenen Jahrzehnten besonders populär geworden. Die literarische Fantastik, deren europäischer Siegeszug in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann, verstand sich zunächst als Angriff auf die Aufklärungsbewegung und deren der Vernunft verpflichtetem Menschenbild. Mit ihren Darstellungen des Übernatürlichen, des Wahnsinns, der Triebhaftigkeit, des Bösen erinnerte sie daran, dass der Mensch alles andere als eine Lichtgestalt in der besten aller Welten ist. Sie entdeckte zugleich die Möglichkeiten, mithilfe künstlich erzeugter Angst wenigstens für die Dauer der Lektüre Lustgewinn zu erzielen und diese »Angstlust« der Leserschaft zur Unterhaltung zu verkaufen. Die Irritationen, die von den um 1800 erschienenen Schauerromanen ausgingen und das Publikum faszinierten, waren gleichsam ein Ersatz für die durch die Aufklärung abhanden gekommene Angst vor transzendenten Mächten. Zudem bot diese Literatur die Gelegenheit, eigene verbotene und verdrängte Wünsche verwirklicht zu sehen. Unter den meist recht trivialen Erzeugnissen literarischer Fantastik, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht nur um Gespenster und Teufel, sondern vor allem auch um Vampire, Tiermenschen und künstlich erzeugte Menschen kreisten, ragen durchaus literarische Meisterwerke hervor - man denke nur an Erzählungen Edgar Allan Poes.
 
Das gegenwärtig so beliebte Genre der Fantasy bewahrt nur noch Reste dessen, was die literarische Fantastik einst beschäftigte und was sich heute in der Horrorliteratur fortsetzt.Sein einer Strang, gemeinhin als »High Fantasy« bezeichnet, steht in der Nähe der Zaubermärchen und beschreibt Handlungen in Anderswelten, isolierten, in sich stimmigen Kosmen, in denen die Naturgesetze der empirischen Realität keine zwingende Gültigkeit besitzen. Charakteristisch ist die Lebensreise eines Erfahrungen sammelnden und Lernprozesse durchlaufenden Protagonisten, der oft unfreiwillig in Abenteuer hineingezogen wird und Prüfungen zu bestehen hat, um schließlich (ähnlich dem Helden des Entwicklungsromans) als gereifte Persönlichkeit dazustehen. Ihren Durchbruch erzielte die High Fantasy in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit J. R. R. Tolkiens Romantrilogie »Der Herr der Ringe« (1954/55), deren Erfolg sich nicht zuletzt aus dem faszinierenden Widerspruch erklärt, dass das unrealistische Geschehen in der Anderswelt mit äußerster Akribie und in allen Einzelheiten geschildert wird, sodass man, um sich in ihr als Leser zurechtzufinden, gezwungen ist, sich in sie zu »vertiefen«. Dieses Rezeptionsverhalten äußerte sich etwa in Tolkiengesellschaften, in denen »Fans« ihr spezielles Insider-Wissen unter Beweis stellen konnten. In Deutschland haben insbesondere Michael Ende und Hans Bemmann (»Stein und Flöte«, 1983) an Tolkien angeknüpft und der High Fantasy zu weiterem Ansehen verholfen.
 
Der andere - als »Heroic Fantasy« oder als »Sword & Sorcery« bezeichnete - Strang der Fantasy legt auf die Darstellung von Anderswelten weniger Gewicht. Die in ihr gestalteten, oft in ferne Zeiten zurückversetzten abenteuerlichen Ereignisse spielen sich in Räumen ab, die zumeist nur als exotische Staffage fungieren. Aber ebenso wie für die High Fantasy gilt auch für die Heroic Fantasy, dass sie sich an die Naturgesetze nicht gebunden fühlt. Die Bedrohungen gehen häufig von Figuren aus, die sich der Schwarzen Magie bedienen (»sorcery«), oder aber von Menschen vernichtenden Ungeheuern, die immer neue grauenhafte Fratzen tragen. Insofern sind die Grenzen zum Horrorgenre fließend. Den monströsen Widersachern begegnet ein unbesiegbarer Held, der die Mittel des Schwertes (»sword«), das heißt die Mittel der Gewalt, zur Verteidigung der Angegriffenen oder auch um des eigenen Vorteils willen hemmungslos einsetzt. Die Schwarz-Weiß-Malerei dieser Texte lässt weder charakterliche Entwicklungen noch Differenzierungen zu, vor allem auch keine Skrupel beim Einsatz von Waffen. Zum bekanntesten Helden der Heroic Fantasy, die sich seit den Zwanzigerjahren in amerikanischen Groschenmagazinen ausbreitete, wurde der von Robert E. Howard kreierte Conan der Barbar, der, den Reiz der Gefahr suchend und seine Mordlust kaum verbergend, mit seinem unzerbrechlichen Schwert gegen Dämonen, Drachen und Menschen kämpft. Auch heute wird Heroic Fantasy im Wesentlichen in den massenhaft verbreiteten Printmedien publiziert, zumal in Comic-Heften. Ihre Helden sind eng verwandt mit den Comic-Superhelden der Science Fantasy wie Superman, Hawkman, Batman, Iron Man, die ihre übermenschlichen Fähigkeiten gern in Notsituationen zur Rettung der Allgemeinheit einsetzen. All diese »Vorbildfiguren« sind zweifellos geeignet, Unterlegenheitsgefühle ihrer Bewunderer zu kompensieren, so wie die Eröffnung von Fluchtwelten von den Schwierigkeiten der eigenen Realität ablenkt. Problematisch dabei sind insbesondere in der Heroic Fantasy die von den Identifikationsfiguren vorgeführten Gewalttätigkeiten. Nicht nur gilt in ihr das Recht des Stärkeren; die Unterlegenen werden zugleich — sehr häufig rassistisch — als minderwertig diffamiert, bevor sie getötet werden.
 
Das erfolgreichste, seit Jahrzehnten in den Medien allgegenwärtige Subgenre der fantastischen Literatur ist die Sciencefiction. Diese spielt mit Möglichkeiten der Zukunft und vereinbart dabei Fantasie und wissenschaftliche Rationalität (oft jedoch nur Pseudorationalität). Beeinflusst wird sie, wie die Fantasy, von der Tradition des Abenteuerromans, zudem aber insbesondere von der literarischen Utopie. Schon der neuzeitliche utopische »Staatsroman« arbeitete mit der räumlichen Verschiebung des erzählten Geschehens in ferne Bereiche (auf Inseln, auch auf den Mond), um dort angesiedelte »ideale« Gesellschaftsordnungen der Lebenswirklichkeit seiner Leserschaft gegenüberzustellen. In den Mondromanen begegnet man bereits nichtterrestrischen intelligenten Lebewesen. Die heute für die Sciencefiction so wichtigen Themen und Motive wie die Raumfahrt und die Begegnung mit »Aliens« (= fremden Lebewesen) haben hier ihre Wurzeln. Die Sciencefiction übernimmt aus utopischen Romanen auch das Thema der Zeitreise und das Motiv des Zeitsprungs - die Antizipation künftiger Ereignisse wird schließlich zu ihrem bestimmenden Gattungsmerkmal. Andere Motive der Sciencefiction stammen aus der literarischen Fantastik. Am deutlichsten wird deren Tradition, wenn Übermenschen, degenerierte Menschen oder Mutanten zu den handelnden Figuren gehören oder die Welt als von Dämonen oder Super-Intelligenzen regiert erscheint. All diese aus der literarischen Utopie beziehungsweise der literarischen Fantastik bekannten Motive werden in der Sciencefiction miteinander in Handlungen verbunden, die weitgehend dem Muster des Abenteuerromans folgen. Die außergewöhnliche Reise sowie Flucht und Verfolgung, Gefangennahme und Befreiung und meist auch direkte die Auseinandersetzung der Kontrahenten mit Waffengewalt verhelfen dem Genre zu sicheren Unterhaltungseffekten.
 
Bis in die Mitte der Zwanzigerjahre bot die aus derartigen Motiven zusammengesetzte Literatur ein buntes und uneinheitliches Bild. 1926 gab der Amerikaner Hugo Gernsback ihr den Namen »Sciencefiction«, ohne dass der so benannte Gegenstand dadurch eindeutiger wurde. In den von ihm edierten Magazinen achtete Gernsback zwar auf die Technik- und Wissenschaftsnähe der publizierten Beiträge, konnte aber den zunehmenden Trend zum Fantastischen nicht aufhalten, der dann in der Heftromanliteratur vollends die Überhand gewann. In England versuchte Mitte der Sechzigerjahre eine Gruppe junger Schriftsteller wie James Graham Ballard oder Brian Aldiss der Sciencefiction unter dem Schlagwort vom »Inner space«, dem Weltraum des Bewusstseins, neue Themen zu erschließen und durch unkonventionelle Erzähltechniken Anschluss an die avantgardistische Literatur der Gegenwart zu gewinnen. In den Siebziger- und Achtzigerjahren gingen Innovationen vor allem von Autoren aus sozialistischen Ländern aus. Ihnen, aber auch den offen gegen den Fortschrittsoptimismus gerichteten Antiutopien eines Samjatin (»Wir«), Orwell (»1984«), Huxley (»Schöne neue Welt«) und Bradbury (»Fahrenheit 451«) steht der renommierteste deutschsprachige Vertreter der Gattung, Herbert W. Franke, recht nahe.
 
Die Frage nach den Gründen für die anhaltende Popularität der Sciencefiction ist nicht leicht zu beantworten. Die literarischen Utopien antworteten einst auf den Wunsch, politische und soziale Gegebenheiten zu verändern. Die literarische Fantastik bediente im Zeitalter der rationalitätsgläubigen Aufklärung das Vergnügen, sich durch nicht sofort Erklärbares wenigstens für die Dauer der Lektüre in Angst versetzen zu lassen. Reise- und Abenteuerromane kamen der Sehnsucht entgegen, das Gewohnte zu verlassen und in der Ferne Neues zu entdecken. Die Sciencefiction hat versucht, all solche Bedürfnisse - und diese sind bis heute relativ konstant geblieben - aufzufangen. Dem Verlangen vieler Leser, sich aus sozialen Gewohnheiten und Zwängen zu befreien, tragen vor allem die trivialen Sciencefictionromane Rechnung. Sie bieten das ganze Universum als imaginatives Aktionsfeld an. Die Suggestion ständiger Bewegung, die durch die Darstellung gigantischer Kämpfe im All intensiviert wird, kann freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das in dieser Literatur vermittelte Weltbild statisch und ihr Menschenbild konventionell ist. Das Universum wird hier von geheimnisvollen Mächten regiert, denen die Menschen sich fatalistisch unterordnen. Fortschrittsglaube wird auf Technologisches reduziert und damit pervertiert; die handelnden Figuren bleiben autoritär orientiert und in hierarchischen Gesellschaftsstrukturen gefangen. Da selbst die technischen Geräte nicht erklärt, sondern nur bedient werden, ist nicht zu übersehen, dass all diese Texte nicht nur den Befreiungswünschen ihrer Leser entgegenkommen, sondern zugleich Geborgenheits- und Sicherheitswünsche bestätigen. Qualitativ anspruchsvollere Sciencefiction dagegen unterstützt nach wie vor das Bedürfnis, über politische und gesellschaftliche Veränderungen nachzusinnen, zumal wenn sie versucht, technische mit sozialen Innovationen in Beziehung zu setzen, oder aber wenn sie, im Gefolge der Antiutopien, auf Bedrohungen hinweist, die in einer vollständig von der Technik beherrschten Gegenwart und Zukunft angelegt sind. Hier stellt sich Sciencefiction auf eine intelligente Leserschaft ein, die nach kreativer Umsetzung ihrer Befürchtungen sucht und mögliche menschliche Verhaltensweisen in der Fantasie durchspielen möchte.
 
Prof. Dr. Peter Nusser
 
Literatur:
 
Amerikanische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hubert Zapf. Stuttgart u. a. 1997.
 Brittnacher, Hans Richard: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt am Main 1994.
 
Englische Literaturgeschichte, herausgegeben von Hans Ulrich Seeber. Stuttgart u. a. 21993.
 Schirmer, Walter F.:Geschichte der englischen und amerikanischen Literatur, 2 Bände. Tübingen 61983.
 Suerbaum, Ulrich u. a.:Science fiction. Theorie und Geschichte, Themen und Typen, Form und Weltbild. Stuttgart 1981.

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